Die Toraja auf Sulawesi
Die viertgrößte Insel des Archipels, Sulawesi, das alte Celebes der Kolonialmächte, liegt fast in der Mitte des indonesischen Inselreichs zwischen Borneo und den Gewürzinseln der Molukken. Von einer zentralen Bergkette strecken sich vier zerklüftete Halbinseln wie die Arme eines Kraken ins tropische Meer.
Diese eigenartige und bizarre Form der Insel wird oftmals auch mit einer Orchidee verglichen. Sulawesi hat eine sehr lange Küstenlinie, die in den vergangenen Jahrhunderten vielen Seeräubern Zuflucht bot. Wegen der günstigen Lage zu Java und den Gewürzinseln wurde Sulawesi schon frühzeitig zu einer Drehscheibe des Handels. Lange vor der Ankunft europäischer Kolonialherren steuerten bereits arabische, chinesische und indische Seekaufleute mit ihren Schiffen den Hafen von Ujung Pandang in der Straße von Makassar an. Heute ist die Hafen- und Handelsstadt Hauptort der Insel. Da Ujung Pandang einen Flughafen hat und von Jakarta und Denpasar (Bali) regelmäßig angeflogen wird, beginnen hier auch die Fahrten ins rund 340 Kilometer entfernte "Tana Toraja".
Die sieben- bis zehnstündige Busfahrt bietet ein abwechslungsreiches Landschaftsbild: die mit Nipapalmen bewachsenen Sümpfe der Küste, die Reisfelder mit den Wasserbüffeln, die kleinen Straßendörfer der freundlichen Buginesen, die Flüsse mit den Bambusflößen, die Fischer in ihren Einbäumen. Ab Pare Pare, einer kleinen Küstenstadt, beginnt dann das Hügelland mit den karg bewachsenen Berghängen und atemberaubenden Schluchten. Die Landschaft wird von Stunde zu Stunde weiträumiger und großartiger; hier und da unter Wasser gesetzte Reisterrassen, in denen weiße Reiher nach Fröschen suchen. Endlich die beiden Hauptorte des Torajalandes, Makale und Rantepao. Die Dörfer sind alle sehr klein. Am Tage trifft man nur Kinder und einige alte Leute an, die jungen arbeiten auf den Reisfeldern bis zum Beginn der Dämmerung.
Vor etwa 4000 Jahren kamen die Toraja vermutlich aus China und siedelten, von nachfolgenden Stämmen von der Küste abgedrängt, im Inselinneren, von äußeren Einflüssen ziemlich unbehelligt, bis die Holländer sie missionierten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Christentum bekehrten. Von 700 000 Toraja sind heute rund 50 % Christen und 5 % Moslems. Der Rest von knapp 50 % gehört noch immer der traditionellen, uralten, animistischen Glaubensrichtung des Aluk Todolo an, die auf der Verehrung der Ahnen beruht.
Die Toraja zählen zu den sogenannten Altvölkern Indonesiens wie die Dajaks auf Kalimantan und die Bataker in Nordsumatra.
Rantepao ist der günstigste Ausgangspunkt für den Besuch der umliegenden Torajadörfer, von denen Lemo, Londa, Kete Kusu, Palawa, Sigundu, Nanggala und Sangalla die sehenswertesten sind.
Besonders auffällig ist die Architektur der Häuser mit den kühn geschwungenen Dächern, die mit gespaltenen Bambusröhren bedeckt sind. Die Holländer glaubten darin Schiffsformen zu erkennen. Für den Toraja selbst symbolisiert das Dachgestell einen fliegenden Vogel. Die Häuser der Toraja sind in Reihen aufgestellte Pfahlbauten auf Steinsockeln, wahre Wunderwerke der Baukunst, in deren Giebelwand herrliche Tiermotive und geometrische Muster geschnitzt sind, oftmals in den heiligen Farben weiß, rot, gelb und schwarz bemalt. Das Haus gilt als Symbol des Universums, immer von Nordosten nach Südwesten ausgerichtet. In diesen beiden Himmelsrichtungen liegen der Toraja-Kosmologie zufolge die Reiche der Vorfahren. Den Wohnbauten gegenüber stehen immer die zumeist noch reicher geschmückten Reisspeicher. Art und Umfang des Schmuckes richtet sich nach dem sozialen Status des Besitzers. Das Haus des jeweiligen Dorfältesten ist besonders reich verziert.
Obwohl die Toraja zur Hälfte Christen oder Moslems sind, wird ihr Leben von den Ritualen der alten Ahnenreligion bestimmt. So ist Ahnenkult das Zentrum des geistigen und kulturellen Lebens. Besonders deutlich zeigt sich das bei den einzigartigen Totenfeiern der Toraja. Tod und Begräbnis sind die wichtigsten Ereignisse in ihrem Leben. Umfang und Dauer der Totenfeier bestimmt der gesellschaftliche Stand des Verstorbenen. Für ein gestorbenes Kind opfert man ein Schwein, wobei das Ritual kaum einen Tag dauert. Aber welch ein Aufwand für die Totenzeremonie eines verstorbenen Fürsten! So ein Fest ist mit nichts vergleichbar.
Der Leichnam wird zunächst mit Kräutern einbalsamiert. Aufgrund eines Orakelspruchs kann es Monate oder Jahre dauern, bis das erste Fest stattfinden kann. Bei einem adeligen Begräbnis finden zwei Folgen mit je sieben Tagen in unterschiedlichem Abstand statt. Die erste Feier wird vor dem Haus des Dorfältesten abgehalten und hat den Zweck der offiziellen Kenntnisnahme vom Tod des Verwandten.
Die zweite Totenfeier kann ein Vermögen kosten, denn nach der Vorstellung der Toraja helfen allein hohe Aufwendungen beim Begräbnis dem Verstorbenen im Jenseits zu Ansehen und komfortablem Leben. So wird für die Totenfeier eines Mitglieds der höchsten Kaste immer ein komplettes Dorf nur für die Dauer des Festes aufgebaut, in dem die zahlreichen Trauergäste wohnen.
Der Rang des Verstorbenen erfordert auch besonders kostspielige Opfertiere wie Büffel.
Sind alle Vorbereitungen abgeschlossen, beginnt das Fest auf dem Dorfplatz mit einer Prozession. Auch der Leichnam wird auf einer Bahre zum Festplatz getragen, gefolgt von den Opfertieren, deren Seelen den Toten ins Puya, ins Jenseits, begleiten sollen. Besonders die Wasserbüffel sind für die Toraja treue Freunde, die dem Verstorbenen im Totenreich beistehen sollen
Höhepunkt des Begräbnisrituals ist zwei Tage später das Opfern der Tiere, nicht selten mehr als hundert Büffel, die mit einem Hieb der rasiermesserscharfen Klinge getötet werden, dazu noch viele Schweine. Das Fleisch wird nach traditionellen Richtlinien verteilt und von den vielen Trauergästen mit Hektolitern von Palmwein "hinuntergespült". Manch wohlhabender Toraja ist durch seine Verpflichtungen bei einer Totenfeier bettelarm geworden.
Während das Ritual auf dem Festplatz immer weitere Opfer verlangt, wird im Tal der Felsengräber schon am hölzernen Abbild des Toten gearbeitet. Die fast lebensgroße Figur, Tau-Tau genannt, soll der Seele des Verstorbenen als Aufenthaltsort dienen. Erst nach dem Ende des zweiten Festes gilt der Verstorbene als wirklich tot und wird in einem schwerzugänglichen Felsengrab beigesetzt. Der Tau-Tau wird in einer Felsnische oder auf einer Veranda mit Holzbrüstung neben anderen Puppen längst Verstorbener aufgestellt.
Als weitere Begräbnisstätten dienen den Toraja auch große Felsgrotten, die sich im Laufe der Zeit durch den Verfall der Särge in makabre Gebeinhäuser verwandelt haben. Auch hier trifft man auf jene Tau-Taus, die mit starrem Blick die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits bewachen. Die bootsförmigen Särge sind oft viele hundert Jahre alt und zeigen hervorragende Meisterwerke der Schnitzkunst.